Der Waldgang, 6-9-2015

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Der Wald­gang
Ernst Jün­ger, 1951

„Der Wald­gang – es ist kei­ne Idyl­le, die sich hin­ter dem Titel ver­birgt. Man muß sich viel­mehr auf einen bedenk­li­chen Aus­flug gefaßt machen, der nicht nur über vor­ge­bahn­te Pfa­de, son­dern auch über die Gren­zen der Betrach­tung hin­aus­füh­ren wird.“

„Auch das Wört­chen »Nein« wür­de aus­rei­chen, und jeder, des­sen Augen dar­auf fie­len, wür­de genau wis­sen, was es zu bedeu­ten hat. Das ist ein Zei­chen dafür, daß die Unter­drückung nicht voll­stän­dig gelun­gen ist. Gera­de auf ein­tö­ni­gen Unter­la­gen leuch­ten die Sym­bo­le beson­ders auf. Den grau­en Flä­chen ent­spricht Ver­dich­tung auf eng­stem Raum.
Die Zei­chen kön­nen als Far­ben, Figu­ren oder Gegen­stän­de auf­tre­ten. Wo sie Buch­sta­ben-Cha­rak­ter tre­gen, ver­wan­delt sich die Schrift in Bil­der­schrift zurück. Damit gewinnt sie unmit­tel­ba­res Leben, wird hie­ro­gly­phisch und bie­tet nun, statt zu erklä­ren, Stoff für Erklä­run­gen. Man könn­te noch wei­ter abkür­zen und statt des »Nein« einen ein­zi­gen Buch­sta­ben set­zen – neh­men wir an, das »\/\/«. Das könn­te dann etwa hei­ßen: Wir, Wach­sam, […], Wider­stand. Es könn­te auch hei­ßen Wald­gän­ger.
Das wäre ein erster Schritt aus der sta­ti­stisch über­wach­ten und beherrsch­ten Welt. Uns sogleich erhebt sich die Fra­ge, ob denn der Ein­zel­ne auch stark genug zu sol­chem Wag­nis ist.“

„Der Wald­gang soll nicht ver­stan­den wer­den als eine gegen die Maschi­nen­welt gerich­te­te Form des Anar­chis­mus, obwohl die Ver­su­chung dazu nahe liegt, beson­ders wenn das Bestre­ben zugleich auf eine Ver­knüp­fung mit dem Mythos gerich­tet ist. Mythi­sches wird ohne Zwei­fel kom­men und ist bereits im Anzu­ge. Es ist ja immer vor­han­den und steigt zur guten Stun­de wie ein Schatz zur Ober­flä­che empor. Doch wird er gera­de der höch­sten, gestei­ger­ten Bewe­gung ent­sprin­gen als ande­res Prin­zip. Bewe­gung in die­sem Sin­ne ist nur der Mecha­nis­mus, der Schrei der Geburt. Zum Mythi­schen kehrt man nicht zurück, man begeg­net ihm wie­der, wenn wenn die Zeit in ihrem Gefü­ge wankt, und im Bann­kreis der höch­sten Gefahr. Auch heißt es nicht, der Wein­stock oder – son­dern es heißt: der Wein­stock und das Schiff. Es wächst die Zahl der­je­ni­gen, die das Schiff ver­las­sen wol­len und unter denen auch schar­fe Köp­fe und gute Gei­ster sind. Im Grun­de heißt das, auf hoher See aus­stei­gen. Dann kom­men der Hun­ger, der Kan­ni­ba­lis­mus und die Hai­fi­sche, kurz, alle Schrecken, die uns vom Flo­ße der Medu­sa berich­tet sind. Es ist daher auf alle Fäl­le rät­lich, an Bord und auf Deck zublei­ben, selbst auf die Gefahr hin, daß man mit in die Luft flie­gen wird.“

„In unse­rer Lage sind wir ver­pflich­tet, mit der Kata­stro­phe zu rech­nen und mit ihr schla­fen zu gehen, damit sie uns nicht zur Nacht über­rascht. Nur dadurch wer­den wir zu einem Vor­rat an Sicher­heit gelan­gen, der das ver­nunft­ge­mä­ße Han­deln mög­lich macht. Bei vol­ler Sicher­heit spielt der Gedan­ke nur mit der Kata­stro­phe; er bezieht sie als unwahr­schein­li­che Grö­ße in sei­ne Plä­ne ein und deckt sich durch gerin­ge Ver­si­che­run­gen ab. In unse­ren Tagen ist das umge­kehrt. Wir müs­sen bei­na­he das gan­ze Kapi­tal an die Kata­stro­phe wen­den – um gera­de dadurch den Mit­tel­weg offen­zu­hal­ten, der mes­ser­schmal gewor­den ist.“

© 1952 Ver­lag Vitto­rio Klo­ster­mann, Frank­furt am Main

 

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