Der Waldgang
Ernst Jünger, 1951
„Der Waldgang – es ist keine Idylle, die sich hinter dem Titel verbirgt. Man muß sich vielmehr auf einen bedenklichen Ausflug gefaßt machen, der nicht nur über vorgebahnte Pfade, sondern auch über die Grenzen der Betrachtung hinausführen wird.“
„Auch das Wörtchen »Nein« würde ausreichen, und jeder, dessen Augen darauf fielen, würde genau wissen, was es zu bedeuten hat. Das ist ein Zeichen dafür, daß die Unterdrückung nicht vollständig gelungen ist. Gerade auf eintönigen Unterlagen leuchten die Symbole besonders auf. Den grauen Flächen entspricht Verdichtung auf engstem Raum.
Die Zeichen können als Farben, Figuren oder Gegenstände auftreten. Wo sie Buchstaben-Charakter tregen, verwandelt sich die Schrift in Bilderschrift zurück. Damit gewinnt sie unmittelbares Leben, wird hieroglyphisch und bietet nun, statt zu erklären, Stoff für Erklärungen. Man könnte noch weiter abkürzen und statt des »Nein« einen einzigen Buchstaben setzen – nehmen wir an, das »\/\/«. Das könnte dann etwa heißen: Wir, Wachsam, […], Widerstand. Es könnte auch heißen Waldgänger.
Das wäre ein erster Schritt aus der statistisch überwachten und beherrschten Welt. Uns sogleich erhebt sich die Frage, ob denn der Einzelne auch stark genug zu solchem Wagnis ist.“
„Der Waldgang soll nicht verstanden werden als eine gegen die Maschinenwelt gerichtete Form des Anarchismus, obwohl die Versuchung dazu nahe liegt, besonders wenn das Bestreben zugleich auf eine Verknüpfung mit dem Mythos gerichtet ist. Mythisches wird ohne Zweifel kommen und ist bereits im Anzuge. Es ist ja immer vorhanden und steigt zur guten Stunde wie ein Schatz zur Oberfläche empor. Doch wird er gerade der höchsten, gesteigerten Bewegung entspringen als anderes Prinzip. Bewegung in diesem Sinne ist nur der Mechanismus, der Schrei der Geburt. Zum Mythischen kehrt man nicht zurück, man begegnet ihm wieder, wenn wenn die Zeit in ihrem Gefüge wankt, und im Bannkreis der höchsten Gefahr. Auch heißt es nicht, der Weinstock oder – sondern es heißt: der Weinstock und das Schiff. Es wächst die Zahl derjenigen, die das Schiff verlassen wollen und unter denen auch scharfe Köpfe und gute Geister sind. Im Grunde heißt das, auf hoher See aussteigen. Dann kommen der Hunger, der Kannibalismus und die Haifische, kurz, alle Schrecken, die uns vom Floße der Medusa berichtet sind. Es ist daher auf alle Fälle rätlich, an Bord und auf Deck zubleiben, selbst auf die Gefahr hin, daß man mit in die Luft fliegen wird.“
„In unserer Lage sind wir verpflichtet, mit der Katastrophe zu rechnen und mit ihr schlafen zu gehen, damit sie uns nicht zur Nacht überrascht. Nur dadurch werden wir zu einem Vorrat an Sicherheit gelangen, der das vernunftgemäße Handeln möglich macht. Bei voller Sicherheit spielt der Gedanke nur mit der Katastrophe; er bezieht sie als unwahrscheinliche Größe in seine Pläne ein und deckt sich durch geringe Versicherungen ab. In unseren Tagen ist das umgekehrt. Wir müssen beinahe das ganze Kapital an die Katastrophe wenden – um gerade dadurch den Mittelweg offenzuhalten, der messerschmal geworden ist.“
© 1952 Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main
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